Flake, Margaretha (Minna) geb. Mai
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IdNr
22193
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Minna Flake kam am 27. November 1886 in Würzburg zur Welt. Sie war das jüngste Kind des Kaufmannes David Mai und dessen Ehefrau Berta, geb. Speier. Ihre drei älteren Geschwister waren Luzie, später verh. Frank, Ludwig und Ernst. Minna besuchte zunächst eine höhere Schule in Würzburg. 1907 machte sie ihr Abitur am Wöhler-Gymnasium in Frankfurt, wo sie bei ihrer deutlich älteren Schwester gelebt hatte. So lernte sie auch die Mathematik- und Physik-Lehrerin Dr. Frida Rubiner-Ichak kennen, die seit 1906 SPD-Mitglied war. Minna umgab sich mit den pazifistischen Dichtern Otto Flake und René Schickele, mit denen sie später Beziehungen führte. Mit Flake, mit dem sie von 1907 bis 1911 verheiratet war, bekam sie 1908 einen Sohn namens Thomas. Das Medizinstudium begann sie in ihrem Scheidungsjahr in Würzburg, beendete es aber 1915 an der Humboldt-Universität in Berlin.
Während des Ersten Weltkrieges emigrierte sie in die Schweiz, wo sie ab 1915 als Assistenzärztin in Bern und Basel tätig war. 1917, in dem Jahr, in dem sie approbiert wurde, bekam sie noch eine Tochter, Renate Miriam, die den Nachnamen Flake erhielt, denn ihre Mutter war nicht mit dem leiblichen Vater, René Schickele, verheiratet. Kurz darauf zerbrach die Beziehung der beiden, da Schickele nicht bereit war, sich von seiner Frau und seiner Familie zu trennen. Minna war fortan alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Während der Radikalisierung des linken Flügels der SPD stellte sich Minna Flake auf die Seite der innerparteilichen Opposition und war schließlich nach der Gründung 1917 Mitglied der USPD. Bei der Ausrufung der Kommunistischen Partei zum Jahreswechsel 1918/1919 war sie wieder in Deutschland und schloss sich der neuen Massenbewegung an.
1920 konnte ihr an der Universität Frankfurt am Main der Dr. med. verliehen werden. Sie hatte dazu eine Arbeit zum Thema der Abhängigkeit des Haarausfalls von Erkrankungen des Nervensystems verfasst. Bis 1927 war sie im Sommer als Kurärztin in Langenschwalbach tätig, während sie den Rest des Jahres in Berlin an der Charité bzw. als niedergelassene Ärztin arbeitete. Nach der Stalinisierung der KPD demissionierte sie, verließ 1927 schließlich die KPD und schloss sich der KPD-O an, einer Oppositionspartei zum linksradikalen Kurs der neuen Parteiführung. Im selben Jahr wurde sie in die Berliner Ärztekammer gewählt, denn sie war Mitglied des in der Hauptstadt ansässigen Vereins sozialistischer Ärzte, der sie zu diesem Zweck nominiert hatte. Die Wohnung der kleinen Familie befand sich in den Berliner Jahren in der Waghäuseler Straße 19.
Im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg war sie bald darauf als Stadtoberschulärztin angestellt. 2015 wurde aufgrund dieser Tätigkeit ein Platz in Berlin-Pankow nach Minna Flake benannt. So führte sie dort beispielsweise ein gesundes und kostenfreies Obstfrühstück für die Kinder in den Schulkantinen ein. 1931 schloss sie sich dem Bund deutscher Ärzte an und engagierte sich fortan für Frauen in der Phase des Schwangerschaftsabbruches. 1932 ging sie wie viele weitere den Gang in die SAP, der zum Beispiel der junge Willy Brandt angehörte. Vordergründig war sie immer mehr Sozialistin als Ärztin. Damit war sie freilich eine Politikerin, die ins Visier der NSDAP geraten musste, als dieser die Macht überlassen wurde. Der Unfähigkeit ihrer eigenen Ex-Parteien, der SPD und der KPD, diese Entwicklung zu verhindern, war sie nun politisch ausgeliefert.
1933 wurde die jüdische Sozialistin von den Nationalsozialisten aus dem städtischen Gesundheitswesen Berlins entlassen. Als politisch und rassisch Verfolgte wurde sie im März 1933 verhaftet. Man warf ihr vor, illegal Abtreibungen vorgenommen zu haben und politische Gegner bei sich versteckt zu haben. Zunächst hielt man sie im Horst-Wessel-Haus (dem ehemaligen Karl-Liebknecht-Haus) fest, dann verbrachte man sie ins Polizeipräsidium am Alexanderplatz und von dort in das Frauengefängnis Barnim-Straße. In der Zwischenzeit verwüsteten SA-Männer ihre Wohnung, durchsuchten ihre Bibliothek nach belastendem Material und hinterließen ein entsprechendes Chaos. Verhöre brachten keinen Erfolg, sie gestand keinen einzigen Fall, bei dem sie an einer Abtreibung beteiligt gewesen wäre. Nach der Freilassung im Mai 1933, die sie einer Intervention ihres Bruders Dr. Ernst Mai zu verdanken hatte, gelangten sie und ihre 16-jährige Tochter, die aus politischen Gründen in Jugendhaft gesessen hatte und nun freigelassen worden war, zunächst in die Schweiz und von dort weiter nach Prag, wo sich eine ganze Reihe alter Partei- und Gesinnungsgenossen vor den Nationalsozialisten versteckt hielt. 1934 erreichten sie dann über die Schweiz das zunächst sichere Exil Frankreich. Dort lebten sie später im Pariser Vorort Montrouge.
Im Dunstkreis ihrer SAP-Freunde Jacob Walcher, Paul Frölich, Rosi Wolfstein und weiterer Personen war sie dort auf eher halblegale Weise als Ärztin tätig. Auf diese Weise konnte sie auch die anderen Flüchtlinge versorgen, denen es in aller Regel an Geld fehlte, um eine offizielle Arztpraxis aufzusuchen. Mit Gelegenheitsarbeiten als Haushälterin, Hauslehrerin, Masseurin oder Nachtschwester konnte sie anfängliche Versorgungslücken überbrücken. Seit 1935 war sie in einer Pariser Arztpraxis angestellt, die gleichzeitig als Kontaktadresse für den Ernst-Eckstein-Fonds fungierte, der die SAP-Exilanten mit den nötigsten finanziellen Mitteln versorgte. Seit September 1939, als direkte Folge des Kriegsbeginns, bemühte sich Minna Flake um US-amerikanische Visa für sich und ihre Familie. 1941 konnten Minna Flake, Tochter Renate und die einjährige Enkeltochter Katrin sowie zwei weitere Angehörige mithilfe von Varian Fry nach New York emigrieren. Die Flucht von Renates Mann Walter Barth war vorerst aus Mangel eines Visums nicht möglich - zu viele Prominente mit Visa aus Washington unterminierten die auf Neutralität bedachte Arbeit der Konsuln in den amerikanischen Behörden in Frankreich. Die für Minna Flake notwendigen Affidavits stammten von ihren Fachkollegen Dr. David Brunswick und dem späteren Berkley-Professor Dr. Walter Friedländer. In der Folgezeit ermöglichte die Familie auf dieselbe Weise die Emigration einer österreichischen Familie namens Kriszhaber und diejenige von Dyno Löwenstein, einem Sohn des SPD-Politikers Kurt Löwenstein.
In New York arbeitete Minna Flake zunächst als Kinderkrankenschwester, wobei sie inoffiziell die Tätigkeiten einer Kinderärztin ausführte. 1947 beendete sie ein zweites Medizinstudium und war fortan auch in den USA als Ärztin zugelassen. Sie betrieb eine kleine Praxis im New Yorker Stadtteil Manhattan. Seit der Rückkehr Jacob Walchers nach Deutschland hatte sie sich vollständig aus dem politischen Leben zurückgezogen, wie ihr Ruth Fischer später nachsagte. Um alte Freunde kümmerte sie sich dennoch, denn so war sie die Hausärztin von Paul Frölich und Rosi Wolfstein, die ebenfalls nach New York emigriert waren. Den Großteil ihres Patientenstammes bekam sie von befreundeten Ärztinnen und Ärzten zugeteilt, denen sie in der Zeit des französischen Exils bei der Flucht in die USA geholfen hatte.
1952 erlangte sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Sie erhielt zwar noch Einladungen nach Deutschland, beispielsweise von ihrer ehemaligen Berliner Kollegin Ella Kay, die seit 1947 Bürgermeisterin des Bezirks Prenzlauer Berg war, doch ihren Lebensabend verbrachte sie in der neuen Wahlheimat, den USA. Dort verstarb sie am 12. Februar 1958 im Alter von 72 Jahren nach mehrjähriger Krankheit.
Riccardo Altieri
Zusätzlich verwendete Literatur:
Eric T. Jennings, Escape from Vichy. The Refugee Exodus to the French Caribbean, Harvard 2018, S. 55-58.
Ruth Fischer/Arkadij Maslow, Abtrünnig wider Willen. Aus Briefen und Manuskripten des Exils, hrsg. v. Peter Lübbe, München 1990, S. 266.
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